Vergesst die Job-Debatte: Was die KI wirklich mit unserer Gesellschaft macht

3. Dezember 2025

Wir starren gebannt auf die falschen Metriken.

Wenn wir heute über Künstliche Intelligenz diskutieren, dann geht es fast immer um Ökonomie. Wir fragen uns: Welche Jobs fallen weg? Welche entstehen neu? Wie steigern wir das BIP durch Automatisierung?

Das sind wichtige Fragen. Aber sie verdecken eine viel tiefgreifendere, leisere Erschütterung, die sich gerade anbahnt. Während wir auf die Arbeitsmarktzahlen schauen, wächst eine Generation heran, die heutigen Kleinkinder, für die KI keine „Technologie“ mehr sein wird, sondern die Grundstruktur ihrer Realität.

Mich treibt weniger die Sorge um, ob wir in 15 Jahren noch arbeiten, sondern wie wir in 15 Jahren denken, fühlen und uns an unsere Geschichte erinnern.

Es gibt drei massive Bruchlinien, die wir ignorieren und die unsere kulturelle Identität bedrohen.

Jugendlicher 2024 Hausaufgaben KI

Ein Jugendlicher bei Hausaufgaben in 2040. Ob er noch schreiben oder tippen kann?

.

1. Das Ende der gemeinsamen Wahrheit

Vor kurzem hatte ich ein Erlebnis, das mir die Tragweite der kommenden Jahre vor Augen führte. Ich befand mich in China und nutzte (mit chinesischer IP-Adresse) das dortige LLM „Deepseek“. Ich stellte eine simple Frage: „Wem gehört Taiwan?“

Die Antwort war, wie zu erwarten, vollkommen auf Linie der dortigen Staatsdoktrin.

Danach stellte ich dieselbe Frage (über einen VPN-Tunnel) „Perplexity“ (einem amerikanisch geprägten KI-Tool). Die Antwort hätte unterschiedlicher nicht sein können. Sie war differenziert, westlich geprägt, historisch anders kontextualisiert.

Warum ist das wichtig? Weil es zeigt, worauf wir zusteuern: Das Ende der objektiven Wissensaneignung.

In 15 Jahren werden Jugendliche Geschichte nicht mehr über Primärquellen lernen. Sie werden sie sich von ihrer persönlichen KI erzählen lassen. Wenn KI-Modelle je nach geografischem oder politischem „Training“ unterschiedliche Realitäten halluzinieren oder selektieren, verlieren wir den gemeinsamen Boden. Wir steuern auf eine Ära der „Geografischen Wahrheit“ zu.

Wie soll Demokratie funktionieren, wenn wir uns nicht einmal mehr auf eine gemeinsame Vergangenheit einigen können, weil die KI in meiner Brille mir eine andere Geschichte erzählt als die KI in deiner?

.

2. Der Tod des Prozesses (Die Krise der Kreativität)

Die zweite Gefahr betrifft unser kulturelles Erbe. Wir leben in einer Gesellschaft, die Ergebnisse fetischisiert. Die KI ist die ultimative Ergebnis-Maschine. Du willst ein Bild? Klick. Einen Social Media Post? Klick. Einen Song? Klick. Ein Video? Klick.

Aber Kultur entsteht nicht durch das Ergebnis. Sie entsteht durch den Prozess.

Wahre Begeisterung für Kunst, Musik oder Literatur entsteht oft erst durch die Anstrengung. Sie wächst durch das Üben, das Scheitern und die mühsame Auseinandersetzung mit der Sache selbst. Sei es der Kampf um die richtigen Worte oder die harte Arbeit, ein Instrument wirklich zu beherrschen.

Ich frage mich: Woher soll ein Jugendlicher im Jahr 2040 die intrinsische Motivation nehmen, fünf Jahre lang Geige zu üben oder Malerei zu studieren, wenn die KI das Ergebnis in Sekundenbruchteilen besser, schneller und technisch perfekter liefert?

Wenn wir den Weg zum Ergebnis überspringen, weil er „ineffizient“ ist, verlieren wir die Resonanz zur Welt. Wir züchten eine Generation von Konsumenten heran, die alles haben können, aber nichts mehr erschaffen wollen, weil der Aufwand sinnlos erscheint.

Jugendliche 2024 promptet Kunst

Vielleicht besteht Kunstunterricht in 2040 nur noch durch das formulieren von Prompts?

.

3. Die Erosion des selbständigen Denkens

Wenn das Wissen der Welt nicht mehr gesucht, gefiltert und verifiziert werden muss, sondern mir von einem Assistenten im Ohr mundgerecht serviert wird, was passiert dann mit unserem Gehirn?

Es ist wie mit dem Navigationssystem: Seit wir es alle nutzen, verkümmert unser natürlicher Orientierungssinn. Wenn wir das kognitive „Muskeltraining“ (Fakten lernen, Zusammenhänge selbst herstellen und begreifen, Widersprüche aushalten) an die KI auslagern, droht eine geistige Verkümmerung.

Wir riskieren Generationen, die zwar Zugriff auf alles Wissen hat, aber nicht mehr die mentale Architektur besitzt, um es kritisch zu hinterfragen. Das macht den Umgang mit der KI unter Umständen sogar gefährlich.

.

Was wir jetzt tun müssen

Ich male dieses Bild nicht, um Pessimismus zu verbreiten, sondern um den Fokus zu verschieben.

Wir müssen aufhören, KI nur als Werkzeug für Produktivität zu sehen. Wir müssen sie als eine Kraft verstehen, die unser Sein verändert.

Erziehung und Bildung müssen sich radikal wandeln.

  • Wir müssen Kindern nicht mehr beibringen, wie man Antworten gibt (das macht die KI). Wir müssen ihnen beibringen, die richtigen Fragen zu stellen und Antworten zu überprüfen.

  • Wir müssen „Unplugged“-Räume schaffen, in denen Kreativität wieder mühsam sein darf und gefördert wird.

  • Wir müssen Quellenkompetenz zum wichtigsten Schulfach machen: Wie erkenne ich, ob die KI halluziniert oder manipuliert?

Die Technologie wird nicht verschwinden. KI wird bleiben und uns in allen Lebenslagen begleiten. Aber ob wir in 15 Jahren souveräne Nutzer eines mächtigen Werkzeugs sind oder passive Empfänger einer synthetischen Realität, das entscheidet sich jetzt.

.

Warum wir Marketer die „Patienten Null“ sind

Warum schreibe ich als Marketing-Experte über Philosophie und Erziehung? Weil wir zur Avantgarde gehören. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Während laut Bitkom inzwischen zwar zwei Drittel der Deutschen generative KI nutzen, tun sie dies oft spielerisch oder sporadisch. Anders im Marketing. Wir sind eine der Berufsgruppen mit der weltweit höchsten Adaptionsrate. Für uns ist die KI kein Spielzeug mehr, sondern der Motor unserer täglichen Produktion.

Wir sind oft die Ersten, die erleben, was passiert, wenn man das kreative Denken an einen Algorithmus auslagert. Wir sind der „Patienten Null“ dieser technologischen Entwicklung. Wir gehören zu den Ersten, die spüren, wie verlockend es ist, Effizienz über Originalität zu stellen und wie schnell dabei alles gleichförmig wird. Wenn schon wir Profis massive Disziplin brauchen, um uns nicht geistig entmündigen zu lassen, wie soll das erst einer Generation gelingen, die nie eine Welt ohne diese Technologie kannte?

Dieser Artikel erscheint in einem Marketing-Blog, weil wir die Architekten dieser neuen Realität sind. Und wer die Architektur baut, muss auch warnen, wenn das Fundament Risse bekommt.

Lasst uns weniger über Jobs reden und mehr über den Menschen.




Suche
Schritt für Schritt den eigenen Elevator Pitch als Markenstory erarbeiten. Jetzt anmelden und downloaden!

Copyright © 2025 Personal Brands.DatenschutzerklärungImpressumKontakt